„Politikverdrossenheit ändert nichts“
„Besser als gerührt zu werden, ist sich zu rühren“, sagt die Eisenacher Stadträtin Karin May (DIE LINKE), die trotz großer Schwierigkeiten immer versucht, Menschen für eine kommunale Kandidatur zu gewinnen.
Wie bist du zur Kommunalpolitik gekommen und wie schwierig war dein Einstieg?
Als ich mich für eine Kandidatur für den Stadtrat Eisenach entschloss, hatte ich regelmäßig an den Beratungen unserer Stadtratsfraktion teilgenommen und dabei auch selbst Einblicke in die kommunalpolitische Arbeit gewonnen. Da der Einstieg in die Arbeit des Stadtrats nicht ganz so einfach war, haben mir die Bildungsveranstaltungen des „Kommunalpolitischen Forums Thüringen“ sehr weitergeholfen.
Was war und ist deine Motivation, dich kommunalpolitisch zu engagieren?
In den Städten und Gemeinden findet das Leben der Menschen statt, doch die sozialen Verwerfungen haben ein Ausmaß angenommen, die auch unsere Stadtgesellschaft spalten. Weiterhin lag mir die Kultur am Herzen, denn der Kahlschlag nach der Wende war unerträglich. Das wollte ich verhindern.
Heute bereiten der Sozialabbau und die korrupten Machenschaften den Boden dafür, dass rassistische Ideologien die Demokratie bedrohen. Insbesondere auf kommunalpolitischer Ebene muss man dagegen etwas unternehmen.
Was waren deine größten Erfolge und Herausforderungen? Was hast du persönlich aus deiner kommunalpolitischen Arbeit gelernt?
In den Jahren lagen Erfolg und Misserfolg immer dicht beieinander. Herausforderungen waren insbesondere die entgegen unserer Bedenken beschlossene Kreisfreiheit Eisenachs. Die Folge waren schwierige Haushaltslagen der Stadt. Erinnerungswürdig bleibt auch der Versuch einiger Fraktionen mit den Stimmen der NPD die linke Oberbürgermeisterin sachgrundlos aus dem Amt zu drängen. Als gemeinsame Erfolge zu verzeichnen sind das Aufdecken von Straftaten im Trink- und Abwasserverband oder die Erhaltung aller Kulturstätten der Stadt. Für mich war es eine Herausforderung im dem damaligen Aufsichtsrat der Landestheater Eisenach GmbH, den völligen Kahlschlag zu verhindern, der seit der Wende systematisch betrieben wurde. Es war ein schwieriger Weg. Erst mit der neuen Landesregierung mit Kulturminister Benjamin Hoff ist es geglückt, Theater und Orchester auf eine stabilere Basis zu stellen.
Meine Arbeit im Stadtrat hat sich nicht nur mit der Parlamentsarbeit erschöpft. Wichtig war mir und meinen Fraktionskollegen immer auch das außerparlamentarische Engagement in Vereinen. Selbst bin ich Mitglied 4 Vereinen der Stadt, die etwas mit Kultur und Bildung zu tun haben. Dort habe ich viel gelernt und vor allem erfahren, dass ich mit deren Hilfe im Stadtrat manches bewegen konnte, zum Beispiel die ausreichende finanzielle Unterstützung der Stadtbibliothek für den Erwerb zahlreicher neuer Bücher. Es würde hier zu weit führen, mehr Beispiele aufzuführen, was in 22 Jahren erreicht wurde und was nicht. Die Zähne ausgebissen habe ich mir oft daran, dass die Einrichtungen bzw. die Gesetzgebung des Bundes, lange auch die des Landes und der kommunalen Bestimmungen nicht zu vereinbaren sind mit den Anforderungen des Verstandes und des Gewissens.
Was hast du persönlich aus deiner kommunalpolitischen Arbeit gelernt?
Irgendwo mitzumachen aus Einsicht in die Notwendigkeit, wenn es Alternativen gibt – nie! Geduld zu haben, wenn etwas nicht gleich durchsetzbar ist, was man für gut und richtig erkannt hat. Zum Beispiel unser Antrag, mit dem Einrichten eines Industriemuseums als Arbeitstitel. Die Stadtgesellschaft besteht mehrheitlich aus den Arbeitern und Angestellten, die im Laufe der industriellen Entwicklung Eisenachs ihre eigene Kultur und Lebensweise herausgebildet haben. Es ist für uns interessant, die Industriegeschichte in Verbindung mit der Sozialgeschichte zu zeigen. Sie ist ein wesentlicher Teil der Stadtgeschichte und soll diejenigen ins Bild setzen, die sonst eher unerwähnt bleiben. Der Antrag wurde zwar abgelehnt, teils auch aus Ärger, nicht selbst die Idee dazu gehabt zu haben. Aber unterschwellig wird daran weitergearbeitet. Zu dem Geduldsfaden gehört auch aus jüngster Zeit der Einsatz für den Erhalt der denkmalgeschützten Werkhalle O1 des ehemaligen Automobilwerkes. Dahinein kommt jetzt die neue bundesligataugliche Sporthalle. Gelernt habe ich auch, zuzuhören und was einem nicht gefällt, erst einmal setzen zu lassen, bevor man sich äußert.
Die Kommunalpolitik ist immer auch noch eine Männerdomäne. War es schwierig, sich als Frau durchzusetzen?
In unserer Fraktion haben wir immer paritätisch gewählt. Ich habe mich von dem Thema insofern nicht beeindrucken lassen, weil es natürlich so ist, dass vernünftige Argumente nicht ignoriert werden können, nur weil sie von einer Frau kommen.
Und außerdem zitiere ich gerne den Geheimrat aus Weimar: „Der Umgang mit Frauen ist das Element guter Sitten.“ Und inzwischen haben sich die Frauen ja auch emanzipiert und kämpfen um ihre unveräußerliche Rechte.
Was würdest du den Menschen raten, die vorhaben, sich auch kommunalpolitisch zu engagieren?
Ich würde sie ausdrücklich dazu ermutigen. Es zeichnet sich leider ab, dass es schwieriger wird, Menschen für eine kommunale Kandidatur zu gewinnen.
Aber ich sage: Besser als gerührt zu werden ist sich zu rühren. Politikverdrossenheit ändert nichts.
Interview: Philipp Hofmann